Jenseits der Schwere

Dr. Antonia Kienberger, Ilona Amann, Sabine Franzl, Paul Reßl | Foto: Wolf Erdel

Die Kunstausstellung am KULTUR.GUT.HORSCH feierte am 21. Juni 2021 ihre Eröffnung. Unter dem Titel "Jenseits der Schwere" zeigt Paul Reßl Skulpturen, Ilona Maria Amann Objekte und Malerei und Sabine Franzl Fotografien.

Die Öffnungszeiten der Ausstellung: 23. Juni, 30. Juni, 6. und 7. Juli 2024 von 14 - 18 Uhr mit Ausstellungskaffee.

Adresse: Dorfstraße 11 in Schwetzendorf

Liebe Gäste,
liebe Freunde,

vorgestern Vormittag erst haben wir uns hier getroffen, Ilona Maria Amann, Paul Reßl mit seiner Partnerin Lina Schobel, Sabine Franzl mit ihrer Tochter Lucie, die Gastgeberin Doris Pilhofer-Horsch und ihr Schwiegervater und wir waren sofort im Bann des Ortes im Zusammenspiel mit der hier ausgestellten Kunst.

Wenn eine Ausstellung entsteht, die Kunstwerke gestellt werden ist das fast immer ein magischer Moment. Mag man sich vorher auch noch viele Gedanken gemacht haben, die übergreifende Idee gefunden haben, in dem Moment, wo im Raum alles konkret wird, fangen die Kunstwerke an miteinander in Verbindung zu treten: visuell, inhaltlich und auch wir Menschen treten in Verbindung: zur Kunst und miteinander.

Dieses Momentum können wir heute bei der Eröffnung in größerer Gemeinschaft erleben.

Jenseits der Schwere– so der Titel der Gruppenausstellung

Ich fange an mit den

Skulpturen von Paul Reßl

Kurz vorneweg: Paul Reßl ist Jahrgang 1992 und ist in Schongau groß geworden. Er studierte Kommunikationsdesign in Augsburg, hatte im Alter von 22 Jahren seine erste Galerieausstellung in München, zwei Jahre später dann den ersten Kunstpreis. 2016 ging er an die Hochschule für Bildende Kunst in Dresden und machte 2021 dort seinen Diplomabschluss. 2022 kam er über eine Atelierausschreibung eher zufällig zu uns nach Regensburg.

Dazwischen viele Kunstprojekte, Ausstellungen, Preise und Künstleraufenthalte. Das ist die zielstrebige Seite des ruhigen und bescheidenen Künstlers. Schaut man sich seine Kunstwerke an, entdeckt man schnell auch die andere Seite. Paul Reßl ist nämlich ein Spielkind im schönsten Sinne.

Schon als kleiner Junge baute er mit Lego-Steinen Raumschiffe, Tempel und Türme, die wildesten Gebilde aus seiner Fantasie. Als Künstler entwickelt er selbstragende, flexible skulpturale Systeme, die sich zu kristallartigen Strukturen zusammenfügen lassen. Sie folgen einer strengen Formgebung. Uns ist sofort aufgefallen, wie sehr sie den Raum hier füllen, so filigran und zart sie auch in Erscheinung treten. Wenn Sie den Blick an oben richten, sehen Sie die die strenge Architektur des Gebäudes. Identische Teile, in Wiederholung angeordnet. Beliebig wiederholbar.

Gleiches Prinzip bei Paul Reßl mit einem völlig anderen Ergebnis. Während der Stall hier Stärke, Schutz und Sicherheit vermittelt, feiert Paul Reßl die Hingabe an die Leichtigkeit. Er experimentiert mit Linienführungen, bündelt Verbindungspunkte – und das Gefüge trägt sich selbst. Eine schöne Metapher – wie ich finde, die auch uns zu Experimenten anregen kann.

Mindestens so spannend wie der Raum, ist bei den Kunstwerken von Paul Reßl auch der Faktor Zeit. Man kann als Betrachter in das Spielangebot, das uns Paul Reßl macht, einsteigen. Denn beim Betrachten, beim Drumherumgehen ergeben sich in der Wiederholung einer einzigen Formgruppe immer wieder neue Perspektiven, neue Durchblicke. Manchmal ist einem der Blick auch fast vollkommen versperrt. Ein faszinierendes Spiel. Man kann sich auf Details fokussieren ebenso wie auf den Raum dazwischen oder den Blick auf das große Ganze und darüber hinaus richten.

Die Zeit läuft dann nicht mehr linear, sondern löst sich wiederum in eine Raumerfahrung auf.

Bei dieser Skulptur hier zum Beispiel verspürte ich sofort das Gefühl der Geborgenheit, wie in einer Schale. Tatsächlich diente die Konstruktion erst einmal ganz profan dem Versuch ein Gerüst für ein Zelt zu erproben. Diese Verknüpfung von Körper- und Raumerfahrung brachte uns dann zusammen sofort zur

Textilkunst von Ilona Maria Amann

Die Allgäuerin studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Textildesign und integrierte zusätzlich zum Studium eine Ausbildung im Handwerk der Weberei. Sie arbeitet als freischaffende Künstlerin und als Dozentin an verschiedenen Hochschulen, u.a. an der OTH in Regensburg. Im Juni 2024 wurde eine textile Arbeit von Ilona Maria Amann beim Kunstwettbewerb „Dream on“ der Stadt Regensburg zum Thema Nachhaltigkeit prämiert.

Das Wort Zelt, eine der Urformen der Behausung führte uns in direkter Linie diesem Kunstwerk, dessen äußerste Schicht – Sie sehen es - ein prunkvoller Mantel aus echtem Schlangenleder ist. Psychologische Untersuchungen zeigen, dass egal in welcher Kultur, in welcher Region, der Mantel dasjenige Kleidungsstück ist, zu dem alle Menschen greifen, wenn sie flüchten müssen. In Anatolien beispielsweise tragen die Schäfer als Berufskleidung eine Art Mantel, der gleichzeitig als Zelt zum Schlafen dient.

Zurück zu Ilona Maria Amanns textiler Kunst. An ihnen kann man die gespeicherte Zeit in verschiedenen Spielarten ablesen. Der Mantel „born to be magic“ zum Beispiel zeigt in verschiedenen Schichtungen die Etappen eines Lebensweges, wie man als Mensch Stück für Stück (raus)wächst, neue Räume erobert, daher auch die Metapher der Schlange als Symbol für das „Sich häuten“ – eine zum Neuen führende Notwendigkeit.

Ilona Maria Amann beschäftigt sich intensiv mit der Textur unserer Textilien: ihren qualitativen Eigenschaften, ihrer haptischen Wirkung und insbesondere auch mit der Bedeutung, die bestimmten Materialien in unserer Gesellschaft zugeschrieben wird.

Analog zur Symbolkraft der Schlange steht in der christlichen Tradition der Schmetterling für die Transformation, für die Überwindung des Irdischen. In diesem Kunstwerk hier von Ilona Maria Amann interkulturell kombiniert mit Schuhen in Zebramuster – man kennt das auch von der Mode und aus der Werbung – kraftvolle Eigenschaften von wild lebenden Tieren werden mit dem Produkt bzw. dem Träger verknüpft. In diesem Werk mit dem Titel „merkur, of if you surrender to the wind you can fly“ werden kulturelle Muster mit mythologischen Erzählungen verknüpft und auf eine geistige Ebene gehoben.

Die „heilige Geometrie“ der Windungen der Muschelschnecke folgt einem Grundmuster. Bei der Schnecke sind es die Sehnen, die sich entsprechend dehnen und die Spannkraft aufbringen müssen – der natürlichen Ordnung folgend. Die Idee des „Wachsen in Kreisen“ ist in vielen Kulturen zum Symbol des Lebens geworden.

In ihren Collagen spürt Ilona Maria Amann der Komplexität unseres Menschseins nach. Wir alle sind verwoben, eingewoben in ein Netz von Beziehungen und Bedeutungen. Sie sieht uns Menschen als nicht von der Natur getrennt an, sondern als Teil der Rhythmen des Lebens, wie beim Wellengang. Die hier gezeigten textilen Arbeiten aus second-hand-Kleidungsstücken nähren sich aus der Symbolkraft der bereits beim Schlangenmantel erwähnten gespeicherten Lebenszeit und dem Gedanken des inneren, des geistigen Reisens. Sie sind Ausdruck der Suche nach dem inneren Heiligen, oder wie es die Künstlerin selbst nennt: „die Kapelle in mir“: der Wunsch, die Heimat in sich selbst zu finden, um sich dann überall zuhause / sprich geborgen und damit federleicht zu fühlen.

In hartem Kontrast zum Gefühl der Geborgenheit und Beheimatung steht das aktuelle Langzeitprojekt der

Dokumentar- und Reportagefotografin Sabine Franzl

Sabine Franzel, vierfache Mutter, arbeitet seit ihrem Diplom 1995 in visueller Kommunikation als Bildjournalistin, Fotodesignerin und freie Künstlerin. 2022 wurden Sabine Franzl und Angelika Sauerer für das Gesamtwerk „Nahaufnahme“, das sind 125 Reportagen über Menschen aus Ostbayern mit dem Eberhard-Woll-Preis des Presse-Clubs Regensburg ausgezeichnet.

Was sie hier sehen, ist ein kleiner Ausschnitt aus der laufenden und weitaus größeren Serie. Die Versuchsanordnung für dieses Projekt von Sabine Franzl ist Zeit mit Menschen außerhalb der eigenen Bubble zu verbringen, und zwar in der lokalen Umgebung. Oder anders ausgedrückt: Das Andere im eigenen Lebensraum zu erfahren und das Sichtbarmachen dessen, was man normalerweise nicht sieht.

Die Serie hier hat folgenden Hintergrund: Sabine Franzl begleitet obdachlose Menschen in Regensburg. Nach langen Gesprächen, gemeinsam zurückgelegten Wegstrecken, geben diese Menschen die Einwilligung, sich fotografisch abbilden zu lassen. Diese Fotos sind fast ausnahmslos nicht inszeniert, sondern aus dem gemeinsam verbrachten Alltag heraus entstanden.

Was Sabine Franzl bei diesem zeitintensiven Projekt erfahren hat, sind 1001 Geschichten, die sich doch in zwei Punkten treffen: Menschen, die ohne Obdach leben, sind für die normale Gesellschaft unsichtbar. Die Dialektik von Selbstbild und Fremdbild, sprich die unterschiedlichen Rückmeldungen, die wir im Laufe eines Tages von ganz unterschiedlichen Seiten fast ständig erhalten und aus denen wir unser Selbstbild meist unbewusst immer wieder neu abgleichen, ist für diese Menschen außer Kraft gesetzt. Sie leben in einer nahezu hermetisch verschlossenen Blase. Das hat Konsequenzen: Sie leben im Hier und Jetzt – leben Tag für Tag und haben sich in ihrer eigenen Wahrnehmung von ihrer Vergangenheit entkoppelt.

Erstaunlich, wie es Sabine Franzl gelungen ist, in diese Blase hineinzukommen und zu einem echten menschlichen Kontakt zu gelangen.

Sabine Franzl sind einfühlsame Menschen-Bilder gelungen, die den Menschen wieder in die Gesellschaft zurückholen. Zumindest für die Zeitspanne, in der die Bilder angeschaut werden. Man spürt den Menschen vor der Kamera. Ihre Lebensfreude, ihre Einsamkeit, spürt sie in ihrer Gelassenheit, kann ihren Schutzpanzer wahrnehmen, manchmal hat man sogar das Gefühl, als könnte man einen Blick in die Seele erhaschen.

Damit solche Fotoaufnahmen angesichts der Schwere der Thematik überhaupt erst entstehen können, bedarf es einer großen Hingabe, sehr viel Zeit und Empathie. Ich möchte Sie deshalb gerne ermuntern, Sabine Franzl nach den Geschichten dieser Menschen zu fragen, es ist berührend und bereichernd, was sie drüber erzählen kann. Das Langzeitprojekt „Jenseits der Bubble“ - Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft abzubilden - ein Kaleidoskop unserer Lebenswelt-en zu erstellen läuft weiter. Wenn Sie sich davon angesprochen fühlen, sprechen Sie ruhig die Künstlerin darauf an.

Auch Ilona Maria Amann und Paul Reßl sind so tief in ihrem künstlerischen Tun verwurzelt, dass ein Gespräch mit ihnen die reinste Freude ist.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen Abend der Fülle - jenseits der Schwere.

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Ilona Maria Amann

Sabine Franzl

Paul Reßl

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Foto: Wolf Erdel